Der Löwe und der Hase

(©hristof)

 

Der Löwe, wohl das stärkste Tier in der Savanne, lag hungrig unter einem schattigen Baum und weit und breit war keine Beute in Sicht. Der Löwe - Der König der Tiere, das mögen vielleicht nicht alle wissen, ist auch ein sehr träges und faules Raubtier. Um Beute kümmern sich zumeist die Löwinnen; allen voran die Königin selbst, ihre Schwestern und jene Jungtiere, die die weibliche Jagdgesellschaft bereits tapfer unterstützen könnten. 

Er, der schöne stolze Vierbeiner, begnügte sich meist damit, sein Revier zu kontrollieren, unliebsame Nebenbuhler zu vertreiben und seine Duftmarken zu erneuern. 

Und dann, wenn Ruhe im königlichen Reich zu herrschen scheint, nimmt er seinen Lieblingsplatz ein und döst in der sanften kühle eines schattenspendenden Baumes vor sich hin. Immer mit wachen Verstand, die zurückgebliebenen jungen wie die altersschwachen Mitglieder des Rudels, schützend im Auge zu behalten. 

Entspannt und zufrieden, auch wenn der Magen unter seinem braunen Fell das Knurren nicht lassen konnte - Menschen würden sagen, er ist ausgiebig beim Chillen, wurde er plötzlich auf einen weinerlichen Laut aufmerksam. Neugierig und an seinen Appetit erinnert, versuchte er die Ursache dieses Jammerns und Heulens aufzuspüren. 

Da lag es, ein trauriges Bündel Fell, mit schlanken Ohren, die dem Tier – es musste ein Hase sein, kraftlos zu Boden lagen. Er verharrte gewohnt in völliger Bewegungslosigkeit, bevor er blitzschnell nach dem offensichtlich traurigen Beutetier schnappte.

Er hielt es fest, zwischen seinen großen Pranken, sodass es ihm ja nicht mehr entwischen konnte. Aber es regte sich kein bisschen Widerstand, sodass alle diese naturgemäßen Anstrengungen, die Beute fest im Griff zu halten unnötig geworden waren. Kein Kampf um Freiheit und ums nackte Überleben schlug ihm von dem Hasen entgegen. Völlig willens, sein Schicksal angenommen zu haben, so schien es, wartete es beinahe geduldig auf den letzten Akt, der ihm sein Leben aushauchen würde um schließlich im Magen des Löwen verdaut werden zu können.    

Mach schon“ sagte der todtraurige Hase. „Erlöse mich endlich von meinen Qualen und entlasse mich somit in den Tierhimmel, wo meine Tränen nicht mehr salzig schmecken werden, sondern süß wie Honig und alle Verzweiflung sich verflüchtigen wird“ 

Normalerweise dauert der Genuss eines solchen Häppchens… was dauern? Ruck zuck geht das, wenn nichts dazwischen kommen würde und kein übermütig, sinnloser Überlebenskampf, die Nahrungsaufnahme stören würde. 

Normalerweise…  

Aber der König der Savanne begann zu zögern… Er spürte ein Gefühl, dass ihm eigentlich fremd war. Ein Gefühl, dass es ihm nicht erlaubte, gnadenlos zuzubeißen. 

Sag mir Hase, was geschieht hier mit mir? Und warum bist du so traurig und verzweifelt. Offensichtlich so am Ende, dass du sterben MÖCHTEST?" 

Was mit dir geschieht, möchtest du wissen? 

Du, der Stolz des wunderschönen afrikanischen Kontinents, dem maximal die Sorge um seine Löwenfamilie ein Gefühl von Furcht erfahren lässt. Du folgst scheinbar gerade deinem Herzen, statt deinem Instinkt. Du erlebst Mitgefühl, statt der puren Lust auf töten.

Meine Tränen, meine Hoffnungslosigkeit, mein Schmerz, die mich für dich quasi zu einer spielerischen Beute macht, lässt dich zögern. Ich vermute, du spürst zum ersten Mal, dass es wenig majestätisch ist und von wenig Stärke zeugt, einen lebensmüden Hasen zu fressen." 

"Lieber Hase," nachdem er seine Pranken behutsam zu Boden ließ um Meister Lampe wieder die Freiheit zu schenken, "du wirkst nun auf mich, als sei deine Traurigkeit verflogen, deine Tränen versiegt und dein Wunsch weiterzuleben, ist auf wundersame Art erneuert worden." 

"Ich bin dem sicheren Tod entronnen, den ich selbst aufs Spiel gesetzt habe, weil ich sehr traurig war und ich von meinem Dasein wohl nicht mehr sehr viel zu erwarten gehabt hätte. 

Aber letztendlich und ausschlaggebend, doch weiterleben zu wollen, war dein anfängliches Zögern, mir nicht gleich mit einem gezielten Biss den Gar auszumachen. Ich spürte Mitgefühl und Empathie in dir. Fühlte dein Zögern… was mir wieder meine Lebensfreude zurück geschenkt hat. 

Danke! Stolzer König der Tiere. Jetzt wäre ich wohl wieder eine angemessene Beute für Dich…"

"Nein! Töten aus Spaß, aus purer Langeweile heraus, ein wehrloses und kampf unwilliges Tier zu fressen, hat nichts edles Würdiges. Auch nicht für ein Raubtier. Und schon gar nicht für den König der Tiere. Warum du so traurig warst, ist jetzt auch gar nicht mehr von Belang. Du hast mir etwas vermittelt – das Mitgefühl. 

Und doch, wärest du jetzt gut beraten, deine vier Beine in Hoppelschwung zu bringen, weil für meine Familie, solch eine Gefühlswelt, noch fremd zu sein scheint."

 

©hristof/Der Löweund der Hase/2022